W. Potgeter: Backstein-​Rohbau im Zeitalter der Industrialisierung

Dissertationsprojekt von Wilko Potgeter zum Thema "Backstein-​Rohbau im Zeitalter der Industrialisierung: Bautechnik des Sichtbacksteins im deutschen Sprachraum von der Zeit Schinkels bis zum Backsteinexpressionismus"

Vergrösserte Ansicht: Nazareth
Nazarethkirche (1832–1835), Karl Friedrich Schinkel, Berlin (Foto: W. Potgeter, 2017)

Backstein-Rohbau im Zeitalter der Industrialisierung: Bautechnik des Sichtbacksteins im deutschen Sprachraum von der Zeit Schinkels bis zum Backsteinexpressionismus

In der Geschichte des Backsteins spielte das 19. Jahrhundert eine entscheidende Rolle. Der im deutschsprachigen Raum im Mittelalter sehr präsente, in der Renaissance und im Barock jedoch mehrheitlich hinter Kulissen aus Putz und Werkstein verbannte Mauerziegel kam im 19. Jahrhundert auch an der Fassade wieder zum Vorschein. Ausgehend von einigen frühen Initialbauten der 1820er Jahre entfaltete sich ein Phänomen, das zeitgenössisch als ›Backstein-Rohbau‹ bezeichnet wurde. Anders als heute, wo ›Rohbau‹ ein noch unfertiges Bauwerk meint, beschrieb der Terminus im 19. Jahrhundert Gebäude mit bewusst backsteinsichtig ausgeführten repräsentativen Fassaden.

Gewöhnliche Ziegel wurden dabei für den sichtbaren Einsatz ästhetisch wie bauphysikalisch als unbefriedigend angesehen, weshalb schon seit Beginn des Backstein-Rohbaus im 19. Jahrhundert für die Außenhaut besonders hergestellte sogenannte ›Verblendsteine‹ verwendet wurden. Im deutschsprachigen Raum gab Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) in Berlin die wichtigsten Anstöße zu dieser Entwicklung. Schon mit seinen ersten Bauten begann er, die technischen Möglichkeiten des Materials auszureizen. Das von ihm angestrebte Ideal möglichst glatter und scharfkantiger Steine blieb für den Rest des 19. Jahrhunderts prägend und führte vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Industrialisierung zu tiefgreifenden Veränderungen im Herstellungs- und Bauprozess.

Der Backstein-Rohbau des 19. Jahrhunderts wurde in der Architekturgeschichte aus einer an seiner Formensprache interessierten kunstgeschichtlichen Sicht schon umfangreich betrachtet, interessanterweise sind die zugrundeliegenden bautechnischen Aspekte jedoch bis jetzt nur punktuell beachtet worden. Dabei waren ästhetische und technische Entwicklungen untrennbar miteinander verknüpft: Erst durch technische Umstellungen im Herstellungsprozess konnten die ästhetischen Ansprüche der Architekten befriedigt werden, während die mehr und mehr verstetigte und etablierte Produktpalette der Verblendsteine eine backsteinsichtige Fassadenausführung begünstigte. Gerade die Backstein-Rohbauten des späten 19. Jahrhunderts, die sich in den gründerzeitlichen Vierteln jeder größeren deutschsprachigen Stadt finden, sind ohne das Wissen über die Hintergründe der seit 1879 standardisierten, als Massenware erhältlichen Verblendziegel auch in ihrer künstlerischen Dimension nicht verständlich.

Mit Fokus auf die zwei Zentren des deutschen Sichtbacksteinbaus, München sowie ganz besonders Berlin (der Hauptstadt des Backstein-Rohbaus) untersucht diese Arbeit den für die Architektur des 19. Jahrhunderts so prägenden Sichtbackstein aus bautechnikgeschichtlicher Sicht. Ausgehend von konstruktiven Fragestellungen erschließt sich der Backstein-Rohbau als komplexes Phänomen, das nicht einfach als künstlerische Strömung verstanden werden kann, sondern eingebettet war in ein dynamisches Spannungsfeld zwischen ästhetischen Vorstellungen, technischen Möglichkeiten und ökonomischen sowie politischen Rahmenbedingungen. Der Bogen der Arbeit spannt von den ersten Bauten Schinkels über die Herausbildung eines lokal verankerten Verblendgewerbes bis zum Aufbau einer zentralisierten Verblendziegelindustrie in der Gründerzeit, die das Baugewerbe in kürzester Zeit weitreichend umwandelte. Den Abschluss bildet eine Betrachtung der Umstände, die zum Untergang des Backstein-Rohbaus und der damit verbundenen Verblendziegelindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten.

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Backstein-Rohbau im Zeitalter der Industrialisierung (Diss., 2021)

Research Collection

  • Potgeter, Wilko; Holzer, Stefan M.: Backsteinstadt Zürich: Der Sichtbackstein-Boom zwischen 1883 und 1914. Zürich, 2021. (externe SeitePark Books)
  • Gillet, V.; Potgeter, W.: Theaterdecken an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zimmerei und Rabitz im Dachraum des Schauspielhauses Pfauen in Zürich. In: INSITU, Band 12, Heft 2, 2020, S. 269-284. (Research Collection)
  • Potgeter, W.: Sichtbackstein in Zürich 1883–1914. In: Ziegelei-Museum, Band 37, 2020, 57-69. (Research Collection)
  • Potgeter, W.: Bautechnik des Berliner Backstein-Rohbaus von Schinkel bis Blankenstein. In: INSITU, Heft 1, 2020, 131-149. (Research Collection)
  • Potgeter, W.; Holzer, S. M.: Sichtbackstein in Zürich 1883–1914. ETH Zürich, Institut für Denkmalpflege und Bauforschung IDB, 2019/2020.
    (Download / Research Collection)

  • Potgeter, W.; Holzer, S. M.: Sichtbackstein des 19. Jahrhunderts. Herstellungstechnik und Spuren an erhaltenen Bauwerken. In: architectura. Zeitschrift für Geschichte der Baukunst, Band 47, Heft 1+2 2017, 2019, 5475. (Research Collection)
  • Potgeter, W..: Facing Bricks in the Nineteenth Century. Developments in Manufacture and Construction of Brick Façades in German-Speaking Countries. In: Campbell, J., et al. (Hg.): Water, Doors and Buildings: Studies in the History of Construction. The Proceedings of the Sixth Conference of the Construction History Society, Queens' College Cambridge 5-7 April 2019. Cambridge: Construction History Society, 2019, 435450. (Research Collection)
  • Sichtbackstein in Zürich 1883-1914. (4. Jahrestagung der Gesellschaft für Bautechnigeschichte, Hannover, 10.05.2019)
  • Facing Bricks in the Nineteenth Century. Developments in Manufacture and Construction of Brick Façades in German-Speaking Countries. (Sixth Conference of the Construction History Society; Cambridge, 6.4.2019)
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